Piano solo – zwischen Jazz und Klassik
Wer die rasante Popularität der Pianistin Johanna Summer verfolgt, dieser außergewöhnlichen Künstlerin aus Plauen im Vogtland, die in Dresden studierte und mitten im Schock des ersten Lockdowns im April 2020 ihr Debütalbum auf den Markt warf, wer sich also fragt, warum diese Frau innerhalb kurzer Zeit zum Lieblingsthema der Feuilletons dieser Republik werden konnte, der muss vor allem etwas über ihre Herangehensweise wissen. Das Erfreuliche und wirklich Neue bei Johanna Summer ist nämlich, dass sie bei ihrem intuitiven Marsch durch Tonarten und Taktstriche, beim Improvisieren also, nicht die traditionellen Blaupausen des Jazz, die Standards des Great American Songbook, verwendet, sondern die vermeintlich heiligen Kühe der Notenliteratur, die Werke klassischer Komponisten wie die Leitfigur des Barock, Johann Sebastian Bach, aber auch andere. Über Nacht avancierte sie damit zur Trendsetterin des deutschen Jazz in den Zwanzigerjahren. Und sie liebt das Liveerlebnis. Für Zuhörer zu musizieren, das macht etwas mit der 29-Jährigen. Sie spielt befreit und kann den Dingen ihren Lauf lassen. Bei ihr passiert es einfach, sie lässt zu, dass sich Noten bewegen, Atmosphären zu mäandern beginnen, irgendwohin, keinem Plan oder Pfad folgend. Die Pianistin nimmt sich eine vertraute Vorlage und geht weiter damit, öffnet Räume, betritt Landschaften, von denen sie selbst vorher nicht ahnte, dass es sie überhaupt gibt. Vielleicht ist das der einzige Weg, sich den großen Erwartungshaltungen zu entziehen: ganz bei sich bleiben, weiter auf die eigene natürliche Gabe vertrauen, dass einem zu Bach immer etwas einfällt, dass es kein falsch und kein richtig gibt, sondern nur den Augenblick, in dem es passiert.